Werbung

Muren von der Koralpe

Muren von der Koralpe im Lavanttal

4. Juni 1660 und 7. Sep. 1916: Zwei schicksalhafte Tage für die Koralpe, und seine Bevölkerung. Die bisher schwersten bekannten Murenabgänge erschütterten das Tal.
Eingendenksteine erinnern an die Murenabgänge auf der Koralpe.
Eingendenksteine erinnern an die Murenabgänge auf der Koralpe.

Ein Gedenkstein am Kreuzerbach oberhalb von Oberpichling zeugt von den einstigen Naturkatastrophen. Die WZ war gemeinsam mit Ing. Hugo Gutschi am Schauplatz.

1660, 4. Juni wurde durch einen Wolkenbruch und Bergsturz das Dorf Gemersdorf und die Kirche daselbst zerstört und verschüttet, wie aus einer Inschrift in der Kirche zu entnehmen ist“, schreibt Keller in seiner Lavanttal-Monographie Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Inschrift indes ist nicht mehr vorhanden, die heutige Gemmersdorfer Kirche St. Lorenz ist nach dem Unglück im Jahr 1660 erbaut worden und soll auf der einst zerstörten Kirche stehen, was nicht bestätigt wird.

Lediglich ein Aufsatz, erschienen in der Carinthia, zeugt vom einstigen Murenunglück. Die Abrutschstelle von 1660 befand sich am Hang der Koralm selbst, die Schuttmassen wurden durch den Gemmersdorfer Bach, der in den Schriften als Godinger Bach bezeichnet wird, ins Tal gefördert. Die Mure schädigte den Besitz des landschaftlichen Freisassen Christian Wintpichler beträchtlich, sodass dieser sich außerstande fühlte, weiterhin Steuern und Abgaben zu bezahlen, und ein Gesuch bei den Ständen und Verordneten des Landes um Steuernachlass und Verringerung des Steuerfußes einbrachte. Zuerst wurde vom landschaftlichen Steuereinnehmer Peter Stauber (wohl eine Namensgleichheit), dem die Freisassen im Lavanttal unterstanden, ein Bericht abverlangt, in dem die Angaben Wintpichlers bestätigt wurden.

So sollte Georg Prödl, der Besitzer des Hofes Farrach bei Maria Rojach „auf Treu und Glaub“ berichten, und zeichnete sogar eine Skizze: „Ich hab Weniges an das Papuer, so hiebey zu ersechen, abgerissen vnd wan ich vil sol schreiben, würde es doch vnglaublich, der es nit mit Augen gesehen, gleichsamben gehalten werden.“ Die Mure hatte Haus, „Städlwerch“ samt Mautmühle und Stampf am Gemmersdorfer Bach zerstört, sodass im Haus nur ein kleines „Khachelstibl“ erhalten blieb, und mehr als die Hälfte der Äcker und Wiesen weggetragen.

Die erste Welle scheint alles mitgerissen zu haben und erreichte laut Prödl sogar die etwas höher gelegene Kirche von Gemmersdorf. Vermutlich hat der der Flutwelle vorausgehende Luftdruck 1660 aus der Sakristei alles, was nicht niet- und nagelfest war, ins Freie geschleudert. Für eine Flucht blieb keine Zeit; 29 Tote waren zu beklagen. Von den verheerenden Folgen der Mure im Jahr 1660 ist heute nichts mehr zu sehen.

Übrigens: Christian Wintpichler wurde ein dauernder Nachlass nicht bewilligt.

An die Murenkatastrophe von 7. September 1916, bei der mehr als 22 Menschen ums Leben gekommen sind, erinnert heute noch ein großer Felsblock am wild von Sträuchern überwucherten Kreuzerbach, auf einer Wiese oberhalb von Oberpichling. Die Inschrift: „Abrutschung von der Schoberstatt Koralpe. am 7. Sept. 1916“. Der 12 Meter lange, 11,7 Meter breite und 5,8 Meter hohe Fels dürfte „ein größeres Stück der Mure“ gewesen sein, wie Ing. Hugo Gutschi bei einem Lokalaugenschein vermutet.

Der Platz ist ein alter Schutthügel und zeugt davon, dass hier bereits vorher (1660) eine ähnliche Katastrophe passiert sein dürfte. Am Fels ist noch eine weitere Inschrift erkennbar, die lediglich das Datum beinhaltet. Es dürfte die erste Inschrift sein, die an das Unglück erinnern sollte. Die heute bekannte Inschrift soll einst weit höher angebracht worden sein. „Ein Bauer hat erzählt, dass man damals mit der Leiter hinaufgestiegen ist.“

Heute liegt sie unter Augen- bzw. auf Kniehöhe, weil der Block eingesunken ist. Ein zweiter großer Fels, der sich 1916 gelöst hat, wurde in mühevoller Arbeit nach Maria Rojach gebracht. Zuerst versuchte man, ihn im Winter mit Pferden fortzuziehen, dann stellte das Stift St. Paul zwölf Ochsen zur Verfügung. Ein halbes Jahr Arbeit brauchte es, um ihn an Ort und Stelle zu bringen; er dient als Kriegerdenkmal in Maria Rojach, das 1923 eingeweiht wurde.

Die Mure soll sich vom Krakaberg gelöst und von dort in den Frisach-Graben (wirklich mit kurzem i) abgegangen sein. Auch von einer Zweiteilung Richtung Kreuzerbach und Gemmersdorfer Bach ist die Rede. Da damals infolge des Krieges jede Veröffentlichung darüber verboten war, wurde das Unglück bald fast vergessen. Dabei tobten drei Wochen hindurch ununterbrochene Regenfälle, die Lavant und ihre Bäche quollen über die Ufer. Straßen, Brücken und Bahnstrecken wurden vom Hochwasser zerstört. Am 7. September um sechs Uhr morgens lösten sich auf der Schoberstatt (heute Scheibstatt) etwa 200 Meter oberhalb der Baumgrenze rund 20 Hektar Bodenfläche und stürzten reißend den Kreuzergraben hinunter. Wieder konnte sich fast niemand retten.

Eine Frau, die durch das Fenster auf die Bergseite sprang, kam mit dem Leben davon, während Mann und Kinder mitgerissen wurden. Einige Höfe verschwanden gänzlich, 20 Meter hohe Fichten kamen unter, ganze Waldbestände wurden vernichtet. Von Oberpichling bis Paierdorf bei Maria Rojach, wo noch eine Keusche samt Bewohnern hinweggeschwemmt wurde, reichten die Ausmaße der Mure.

Die Wassermassen wälzten sich durch das Tal gegen Unterdrauburg. Das untere Tal glich einem See. Lavamünd war von Wassermassen eingeschlossen und nur per Boot erreichbar.
Es dauerte Jahre, bis alle Schäden behoben werden konnten.

Quellen:
Wittmann, Herta: Eine Naturkatastrophe im Lavanttal. In: Carinthia I, 142. Jg. 1952, S. 430-434.
Fresacher, Walther: Eine Abrutschung von der Koralm im Jahre 1660. In: Carinthia, 155. Jg. 1965, S. 209-214.
Keller, F.: Monographie des Lavantthales. Ein monographischer Beitrag zur Heimatkunde. O.J.

Murengefahr heute

Man nimmt an, dass auf der Koralpe immer wieder Muren abgegangen sind. Laut Ing. Hugo Gutschi ist das auch weiterhin möglich. „Seit 1988 gibt es immer wieder Trockenperioden. Das ist die Vorbereitung für eine Mure, weil erst trockene Partien leichter vom Wasser gelöst werden können.“ So seien heute noch Murenbänke im Tal – auch im Saualm-Gebiet - zu erkennen, etwa in St. Margarethen.

„Man hat viele Häuser und Straßen auf solchen Murenbänken gebaut und aus der Not eine Tugend gemacht.“ Das Erdreich rund um Gemmersdorf zum Beispiel wurde in den 50ern mit eigenen Maschinen „entsteint“, was auf frühere Vermurungen zurückzuführen ist.

Murenabgänge gab es nicht nur 1660 und 1916, sondern auch davor, dazwischen und immer wieder. „Die Koralpe ist ein schwimmendes Gebirge, sagt man. Zur Veranschaulichung: Die Gemmersdorfer Straße stellt die geologische Mitte des tektonischen Grabenbruches Lavanttal dar. Wie wir die Koralpe heute sehen, besteht sie aus einem Schnittkegel, den man als Koralmschnitt bezeichnet. Erkenntnisse aus dem Bergbau zeigen, dass in 1300 Metern Tiefe Kohlenflöze liegen, also unter dem Berg, was auch von einem einstigen Tropenwald bzw. –sumpf zeugt, der vor bis zu 50 Millionen Jahren in einem sehr warmen Klima bestanden haben soll. „Dieser Zeitraum ist für uns nicht vorstellbar. Die Natur hat in der Veränderung ihres Erscheinungsbildes eine ganz andere Zeitrechnung“, dämmt Gutschi auch die Panik vor der Klimaerwärmung ein.

„Früher war auch die Pasterze kein Gletscher, Pasterze bedeutet Hirtenweide auf Altslawisch.“ Die Völker wandern je nach Klima, wie die Schwalben im Winter gen Süden fliegen. Daher könne sich auch der Mensch aus dem zoologischen Kreis nicht herausisolieren.

Sage: Der Absturz von der Koralpe

Die Koralpe als Teil der Norischen Alpen soll einst viel höher als heute gewesen sein. In einem See im Inneren der Koralpe hat ein ungeheuerlicher Lindwurm gehaust. Die Bevölkerung befürchtete, dass der Lindwurm den Berg bis zum Absturz unterhöhlen könnte. Als sich Anzeichen dafür nach einem langen Regen zeigten, flohen die Menschen und kehrten nach dem Unglück zurück. Der Lindwurm war tot. Die Schottermassen sollen das Tal so dick bedeckt haben, dass die Kirche von Gemmersdorf völlig in ihnen vergraben lag und nur die Turmspitze herausragte. So hatte die Mure sowohl Gutes (den Tod des Lindwurms), als auch vor allem Schmerzliches gebracht.

Die Scheibstatt, sagt man, ist der Platz des Teufels, wo er mit Menschenköpfen hantierend sein Spiel mit dem Schicksal der Menschen treibt.

Margot Hohl 2009 für die WZ

Bernd Krammer von Lovntol.at

★★★★★ von
Lovntol auf Facebook / YouTube